von Christoph Landes
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15 Juni, 2021
Die Wespe im Büro Morgens im Büro. Eines der beiden Fenster habe ich ganz auf. Es ist schon schön warm draußen. Auf einmal höre ich das Summen. Eine Wespe hat sich in mein Büro verirrt. Langsam erkundet sie den Raum. Am Regal entlang kurz zum geschlossenen Fenster neben meinem Schreibtisch. Dann wird ein Ordner angeflogen, der am Boden steht. So zieht sie ihre Runden. Dann wieder zum geschlossenen Fenster. Tja Wespe, gefangen, da kommst Du nicht raus! Durch das Glas kommst du nicht durch. Das ist Deine Grenze. Sie fliegt weiter in den Raum. Zu meinem Bildschirm. Und dann kurz an der Kamera vorbei, die auf dem Bildschirm fest geclipt ist. Ich denke über die Wespe: "Witzig, raus kommst Du nicht wirklich, aber mit der Webcam willst Du mit der Welt verbunden sein." Und dann fliegt sie wieder zum geschlossenen Fenster. Die Wespe, gefangen in meinem Büro. Ein Fenster weiter könnte sie raus, aber sie hängt an der Glasscheibe wie in einem Gefängnis. Mir kommt ein Gedanke aus einem Vortrag, den ich vor kurzem gehört habe: "Wenn sich jemand Grenzen setzt, sind es seine Grenzen. Wenn sich jemand Ziele setzt, sind es seine Ziele." Ja, da hängt die Wespe wohl an einer Grenze fest, die sie sich irgendwie gesetzt hat. Und dann merke ich es: die Wespe ist ja nicht allein in dem "Gefängnis". Es ist mein Büro. Ich bin ja auch drin. Fast jeden Tag! Wie ist das mit meinen Grenzen? Wie ist mein Blick nach außen? Durch das Fenster raus schauen und mit der Webcam verbunden mit der Welt. Sind das meine Grenzen, genau wie bei der Wespe? Grenzen. Natürlich kenne ich das, wenn Menschen immer nur sagen, was nicht geht, was nicht für sie passt und was nicht stimmig ist. Darum kommen Menschen ja zu einem Berater, der es lösen soll. Sie setzen Grenzen. Eigene Grenzen. Da ist es doch viel besser zu überlegen, was man erreichen kann und will. Lösungen, Ziele, vorwärts gehen. Aber was mich stört: Gerade online bekomme ich so viele Angebote, die mir einreden wollen, dass alles möglich ist, wenn ich nur fest daran glaube. Fülle, Erfolg, finanzielle Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben. Ich habe das Gefühl, die schreiben in ihrer Werbung alle voneinander ab. Das mag schon sein, dass diese Dinge alle möglich sind, aber... Mit jedem Ziel, das ich setze, schließe ich auch andere Ziele aus, ich Grenze mich zu anderen Zielen ab. Und dann denke ich wieder an die Wespe. Sie hat keine Panik. Ein wenig an der geschlossenen Scheibe entlang, wieder weiter in den Raum rein. Der Flug geht hin zum offenen Fenster. Raus. Dann kommt sie wieder rein. Nochmal raus und wieder rein. Bis sie dann endgültig draußen bleibt. Was ist Erfolg, finanzielle Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben für eine Wespe? Sie hat sich keine Ziele gesetzt. Im hier und jetzt lebt sie. Lässt sich von einer Glasscheibe nicht stressen und fliegt einfach draußen weiter. Was lehrt mich die Wespe im Büro. Es ist gut, sich Gedanke über Grenzen zu machen. Und über Ziele. Grenzen können einen guten Rahmen geben, Ziele können extrem unter Druck setzten. Die Wespe tut hauptsächlich das, wofür sie gemacht ist: Wespe sein. Ich will das machen, wofür ich gemacht bin: Mensch sein! P.S. Für diesen Blogbeitrag sind keine Tiere zu Schaden gekommen.